Europas größte Klappbrücke – Neubau der Rethebrücke
Ausgangslage
Im Jahr 1934 wurde im Hamburger Hafen nach 15 Jahren Bauzeit die Rethe-Hubbrücke eröffnet. Sie liegt im südlichen Hafengebiet, überspannt die Rethe an der Mündung in den Reiherstieg, verbindet die Hohe Schaar mit Neuhof und ist somit eine wichtige Verbindung für Autos, LKW und Züge von und nach Süden. Weiterhin ist sie essenziell für den Hafenverkehr, der die Köhlbrandbrücke nicht nutzen kann. Die Köhlbrandbrücke und die Kattwykbrücke sind die zwei bedeutenden Ost-West Verbindungen im Hamburger Hafen. Ist eine der beiden Brücken gesperrt, kommt der Rethebrücke eine wichtige Aufgabe zu, da sie auf halbem Weg zwischen diesen beiden Brücken liegt und somit eine Ausweichroute über die jeweils andere Brücke ermöglicht.
Mit den 50 Meter hohen Hubtürmen und einer Spannweite von 77 Metern war die Brücke, als sie gebaut wurde, eine der größten Hubbrücken. Inzwischen war das Bauwerk allerdings in die Jahre gekommen und hielt dem erhöhten Verkehrsaufkommen nicht mehr stand, obwohl 1985 eine Grundinstandsetzung durchgeführt wurde. Aufgrund der starken Frequentierung mit jährlich 3.000 Brückenöffnungen entstanden Schäden an der Stahlbetonkonstruktion sowie an den maschinellen Anlagen, wodurch ein Neubau notwendig geworden war. Ein weiterer Grund für den Neubau war die zu geringe Durchfahrtsbreite der Hubbrücke.
Aufgabenstellung
Durch den Neubau der Rethebrücke sollte die Infrastruktur im Hamburger Hafen weiter ausgebaut und eine verkehrstechnische Lösung für die nächsten 100 Jahre geschaffen werden. Bei der Zufahrt zur bisherigen Hubbrücke kreuzte der Bahnverkehr den Straßenverkehr, weshalb es zu Wartezeiten und starken Einschränkungen kam. Durch den Bau der neuen Retheklappbrücke wurde diese Situation entschärft, indem die Klappbrücke als zweiteilige, zweiflügelige Klappbrücke gebaut wurde, d. h. der Straßen- und der Schienenverkehr erhielten getrennte Brückenüberbauten (Breite Straßenbrücke: ca. 14 m, Breite Bahnbrücke ca. 10,2 m). Zudem wird im Zufahrtsbereich der Brücke der Straßenverkehr mithilfe von Rampen über die Bahngleise gelenkt, sodass Bahn- und Straßenverkehr sich nicht mehr gegenseitig behindern.
Durch die Veränderung der Brückenart von einer Hubbrücke zu einer Klappbrücke konnten außerdem eine unbegrenzte Durchfahrtshöhe und eine Verbreiterung der Fahrrinne um 20 m auf 64 Meter erreicht werden, was der Schifffahrt zugutekommt. Das Betriebsgebäude liegt nördlich der Brücke, der Steuerstand südlich. Jede Brückenklappe sitzt auf einem unterirdischen Klappenpfeiler, in dem Maschinen und elektrotechnische Anlagen untergebracht sind. Die Pfeiler sind unterirdisch über einen Versorgungsdüker verbunden, durch den Steuerungs-, Energie und Datenleitungen von einer Brückenseite zur anderen verlaufen.
Hamburg ist seit dem Bau der Brücke um eine Attraktion reicher, denn die Rethebrücke ist mit einer Spannweite von 104, 2 m zwischen den Drehlagern die größte Klappbrücke Europas und eine der größten weltweit. Für das Öffnen und Schließen der 4 Brückenklappen kommen 8 Hydraulikzylinder (2 je Klappe) mit einer Länge von jeweils 17 Metern zum Einsatz. DriveCon übernahm die Ausführungs- und Werkstattplanung für die Leit- und Energietechnik sowie die Bauüberwachung für den Bereich Elektrotechnik und die Softwareprogrammierung mit dazugehöriger Visualisierung.
Leistungen
Bei diesem Projekt waren wir ausführend tätig, indem wir die Softwareprogrammierung, Visualisierung und Inbetriebnahme übernommen haben. Außerdem waren wir mit der Planung der Elektrotechnik in den Leistungsphasen 5, 6 und 8 nach HOAI beauftragt. Ein Aufgabenteil war hierbei die Koordination der Elektrotechnik mit den Gewerken Bau, Stahlbau und Maschinenbau. Darüber hinaus wurden eine Risikobeurteilung nach Maschinenrichtlinie sowie die Ausführungs- und Werkstattplanung für die Leit- und Energietechnik erstellt.
Unser Fachpersonal übernahm weiterhin die Erstellung der kompletten Elektrokonstruktion für die Energieversorgungs-, Erdungs- und Blitzschutzeinrichtungen, bestehend aus einer Mittelspannungsschaltanlage, 2 Mittelspannungstransformatoren mit einer Leistung von 800 kVA, Diesel-Notstromaggregaten mit 450 kVA, einer USV-Anlage mit 120 kVA, einer Niederspannungshauptverteilung mit 2.500 A, 4 Niederspannungsunterverteilungen mit je ca. 800 A, der Zentralsteuerung, der Steuerung der Straßen- und Schifffahrtssignalanlagen sowie den Video- und Kommunikationssystemen.
Eine besonders reizvolle Aufgabe war die Programmierung und Inbetriebnahme der Steuerungssoftware für die Energieversorgung und die Leitzentrale der Klappbrücke, wobei hohe Anforderungen an die redundante Energieversorgung gestellt wurden. Damit die Klappbrücke auch bei verschiedenen Ausfallszenarien funktionstüchtig bleibt, wurden zahlreiche Redundanzen eingebaut und eine komplexe Steuerung der Energieversorgung entwickelt, sodass automatisiert Ersatzsysteme aktiviert werden. Darüber hinaus war die Bauüberwachung für den Bereich Elektrotechnik Teil unseres Auftrags.
Herausforderungen und Besonderheiten
Eine Besonderheit der Rethebrücke ist die parallele Verkehrsführung des Straßen- und Schienenverkehrs auf verschiedenen Klappen in einem Bauwerk, wodurch Autos und LKW, unabhängig von den Zügen, die Brücke nutzen können. Da es sich bei der Brücke um einen essentiellen und kritischen Knotenpunkt im Hamburger Hafen handelt, ist die Zuverlässigkeit der Brücke unerlässlich. Daher wurde bei der Planung und Konstruktion der Energieversorgung auf höchste Verfügbarkeit gesetzt. Diese wird durch doppelte Einspeisungen, durch ein Notstromaggregat und durch eine hoch komplexe Energieversorgung mit mehreren Rückfallebenen realisiert.
In der Mitte der Brücke, wenn die Klappen abgesenkt sind, kommt keine mechanische Verriegelung, sondern eine sogenannte Fingerverriegelung zum Einsatz. Diese setzt einen exakten Gleichlauf der beiden Klappen voraus, was hohe Ansprüche an die Softwareprogrammierung der Steuerungen stellt, da beispielsweise Wettereinflüsse durch eine Synchronisation ausgeglichen werden müssen. Um Kollisionen zu vermeiden, wurden bei dieser komplexen Steuerung mögliche Temperaturverformungen, Bauwerksbewegungen und Steuerungsungenauigkeiten berücksichtigt. Aufgrund der Synchronisation und der damit einhergehenden verringerten Geschwindigkeit beim Schließen der Brücke, dauert ein Schließvorgang 465 Sekunden. Ein Öffnungsvorgang verläuft wesentlich schneller und ist nach 260 Sekunden abgeschlossen.