Schiffshebewerk Niederfinow Neubau, Technische Ausrüstung
Ausgangslage
Im Jahr 1914 wurde der Hohenzollernkanal (heute Havel-Oder-Wasserstraße) für die Schifffahrt freigegeben. Aufgrund mangelnder Erfahrung entschied man sich damals gegen ein Schiffshebewerk, um die 36 m Höhendifferenz bei Niederfinow zwischen der Oder und dem Oder-Havel-Kanal zu überbrücken und baute stattdessen eine Schleusentreppe. Diese bestand aus 4 hintereinander angeordneten Schleusen mit jeweils 9 m Hubhöhe. 20 Jahre lang waren die Schleusen die einzige Möglichkeit den Geländesprung per Schiff zu überwinden. Aufgrund des hohen Schiffsaufkommens wurden die Wartezeiten sehr lang, sodass die Schiffe fünf bis sechs Tage warten mussten, um die Schleusen passieren zu können. Daher wurde 1927 mit dem Bau eines Schiffshebewerks begonnen, welches 1934 eingeweiht wurde. Damals war das Schiffshebewerk das größte seiner Art weltweit; heute ist es das älteste noch arbeitenden Schiffshebewerk Deutschlands. Ein kompletter Schleusenvorgang (einfahren, heben/senken, ausfahren) dauert 20 Minuten, wohingegen die Nutzung der Schleusentreppe mehrere Stunden dauerte. Daher verlor die Schleusentreppe an Relevanz und wurde 1972 aufgrund ihrer Baufälligkeit stillgelegt.
Das Schiffshebewerk ist mit seiner Troglänge von 84 m und einer Ladetiefe von 2 m jedoch nicht mehr zeitgemäß. Außerdem hat es bald das Ende seiner Lebensdauer erreicht und müsste für die notwendige Instandhaltung längere Zeit gesperrt werden. Aus diesen Gründen wird es von einem Neubau ersetzt, der 2020 in Betrieb gehen soll und ab 2025 das alte Hebewerk komplett ersetzt.
Aufgabenstellung
Bereits 1992 erhielt das Wasserstraßen Neubauamt Berlin den Planungsauftrag für das Neue Hebewerk. Daraufhin wurden sechs Bauwerksvarianten und 3 Trassenverläufe untersucht. Die Entscheidung fiel auf ein Senkrechthebewerk mit Gegengewichtsausgleich in Stahlbetonbauweise, angesiedelt zwischen dem vorhandenen Hebewerk und der alten Schleusentreppe. Um den oberen Vorhafen mit dem Hebewerk zu verbinden, wurde eine Kanalbrücke errichtet. Diese liegt auf 28 Stahlbetonpfählen, die 40 m tief im Erdreich verankert sind, um die Last von 3.300 t zu tragen.
Der Bau des neuen Schiffshebewerks soll dem Wirtschaftsstandort Brandenburg zu Gute kommen und einen Großteil des Gütertransports auf das Wasser verlagern. Zudem wird das transeuropäische Wasserstraßennetz geschlossen, sodass Güter von Stettin bis zum Rhein transportiert werden können. Außerdem kann durch den Bau die Wasserstraßenverbindung von Berlin bis zur Ostsee für den Güterverkehr mit Schiffstiefgang bis 2,8 m ausgebaut werden. Das neue Schiffshebewerk ermöglicht es, aufgrund der 4 m Wassertiefe im Trog und den erhöhten Trogabmessungen (Nutzlänge: 115 m, Nutzbreite: 12,5 m), auch Schiffe bis zu 110 m Länge und mit 2-lagigen Containerreihen zu heben.
Leistungen
Um den Trog vor Beschädigungen zu schützen, kommt eine Seilschranke mit einseitig angeordnetem Bremszylinder als Stoßschutz zum Einsatz. Der Trogantrieb besteht aus 8 Motoren, mit jeweils eigenen Frequenzumrichtern, und ist, wie auch andere Anlagenteile, auf dem Trog angebracht. Daher musste die Niederspannungsverteilung bis auf den Trog geplant werden. Dort wurden Elektroräume vorgesehen, um die Schaltanlagen für die elektrische Ausrüstung aufzustellen sowie die Frequenzumrichter für die Antriebsmotoren des Trogs zu positionieren. Zusätzlich zu dem benötigten Niederspannungsverteilsystem wurde eine Mittelspannungsanlage geplant und alle benötigten Übersichtspläne erstellt. Die Steuerung des Hebewerks und der Antriebe erfolgt über Speicherprogrammierbare Steuerungen. Hier waren wir unter anderem für die Durchführung des Softwaretests zuständig, um zu überprüfen, ob alle erforderlichen Funktionen vorhanden sind und einwandfrei funktionieren.
Die Bedienung über ein redundantes Bedien- und Beobachtungssystem von einem zentralen Bedienstand aus wurde von uns geplant, ebenso wie Vor-Ort-Bedienstationen für Tore, Maschinen und Antriebe, um für Notfälle bestmöglich gerüstet zu sein. Damit bei Stromausfall alle steuerungs- und nachrichtentechnischen Einrichtungen weiterbetrieben werde können, haben wir eine USV-Anlage eingeplant. Somit ist sichergestellt, dass über die Kameraanlage und die Kommunikationsanlage jederzeit eine Kommunikation mit der Schifffahrt möglich ist. Weiterhin wurde eine Wechselsprech- und Lautsprecheranlage geplant. Letztere dient dazu, den Besuchern des Schiffshebewerks Informationen zukommen zu lassen.
Ein weiterer Teil unseres Auftrags war die Planung und Auslegung der Blitzschutz-, Erdungs- und Potentialausgleichsanlagen sowie die Berücksichtigung von Überspannungsschutzeinrichtungen für alle elektrischen und elektrotechnischen Anlagen. Zusätzlich wurden Mess- und Erfassungssysteme, Lichtsignalanlagen sowie Pegelmesseinrichtungen geplant. Für die Sicherheitsbeleuchtung sowie die Innen- und Außenbeleuchtungsanlagen haben wir eine Beleuchtungsberechnung durchgeführt. Die Telefonanlage sowie die Sende- und Empfangsanlage für den Nautischen Informationsfunk (NIF) wurden ebenfalls durch uns konzipiert.
Herausforderungen und Besonderheiten
Das alte Schiffshebewerk wurde 2007 durch die Bundesingenieurkammer als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet und zieht jährlich ca. 150.000 Besucher an. Durch den Bau des neuen Schiffshebewerks stiegen die Besucherzahlen weiter an, weshalb 2019 ein Informationszentrum für Besucher eröffnet wurde. Besonders interessant für die Besucher ist der technische Ablauf, weshalb die Technik des neuen Schiffshebewerks hinter Glas für die Besucher einsehbar ist.
Für das neue Schiffshebewerk wurde die ausgefeilte Technik des vorhandenen Schiffshebewerks übernommen. Der wassergefüllte Trog wiegt immer gleich viel, weil ein Schiff genau so viel Wasser verdrängt, wie es selbst wiegt. Die Gegengewichte gleichen die Last komplett aus, sodass die Antriebe nur die Kraft aufwenden müssen, die benötigt wird, um die Reibung, die Anfahrkräfte und geringe Differenzen des Wasserstands zu überwinden.
Von der eingesetzten Technik waren chinesische Ingenieure so beeindruckt, dass die Technik beim Schiffshebewerk am Drei-Schluchten-Staudamm zum Einsatz kommt. Dieses Hebewerk, dessen Elektroanlage ebenfalls von unseren Ingenieuren geplant wurde, ist bereits seit 2016 in Betrieb. Zusammen mit unseren Auftraggebern wurde uns für das Schiffshebewerk am Drei-Schluchten-Staudamm der Ulrich Finsterwalder Ingenieurbaupreis (Verlag Ernst und Sohn) des Jahres 2017 verliehen.